. . .   Sinnvoll erscheint ein Freitod letztlich nur als Antwort auf eine Unausweichlichkeit, bei unheilbarer Krankheit, bei unerträglichem Terror. Nie nur spontan, nur nach reiflicher Überlegung: Dazu rät die Erfahrung derer, die durch Situationen hindurch gegangen sind, in denen sie den Tod für die einzige Lösung hielten, dies jedoch rückblickend als kurzschlüssig bewerten, froh, die letzte Konsequenz nicht gezogen zu haben. Die Rücksicht auf sich selbst, im selben Maße die Rücksicht auf Andere, die durch den Tod des Selbst in eine üble Lage geraten können, sei es seelisch oder materiell, erscheint als sinnvolles Kriterium für die zu treffende Wahl. Es sei denn, dass gerade dies die Absicht ist, Andere zu verletzen, sie für lange Zeit zu zeichnen, sie zur endlosen Deutung des vollzogenen Todes zu nötigen, denn vor allem dieser Tod treibt eine nicht enden wollende Unruhe hervor. Lag es an mir? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich etwas übersehen? Was hätte ich tun können?

Es lässt sich mit guten Argumenten bezweifeln, ob in der äußersten Situation eine wirkliche Wahl getroffen werden kann. Aber entscheidende Fragen lassen sich ebenso gut den Lebenden stellen: Wissen sie wirklich, was sie tun? Haben sie es sich gut überlegt? Haben sie, frei von allen Zwängen, eine bewusste Wahl getroffen, ihr Leben wirklich zu leben? Der Mensch ist nun mal das Lebewesen, das das Leben auch verweigern kann. Ein Zwang zum Leben, eine Verpflichtung, leben zu müssen, ist nicht erkennbar; es handelt sich beim Leben nicht von selbst schon um einen „Wert an sich“. Die Wahl, ihm dennoch einen solchen Wert zuzumessen, ist eine Formgebung der Freiheit vor dem Hintergrund einer möglichen Abwahl des Lebens. Wird diese Wertsetzung nicht vorgenommen, bleibt das Leben unbestimmt, äußerlich, gleichgültig, und wird nicht wirklich angeeignet. Erst in der Auseinandersetzung mit dem Tod gewinnt das Leben Sinn und Wert, sodass es gerade die Frage des Todes ist, die entschieden zum Leben führt. Ist dieses Denken gefährlich? Ist diese Sichtweise selbst nur eine Frage der jeweiligen Perspektive? Aber alle Erfahrung spricht dafür, dass das Leben nie nur das ist, was es aktuell zu sein scheint; dass vielmehr immer noch eine andere Perspektive möglich ist und keine Perspektive die Fülle der Möglichkeiten erschöpfen kann, die nur durch Deutung und Erfahrung immer wieder neu auszuloten sind.

Glück ist, in entscheidenden Momenten Menschen zu kennen, die einem beistehen können, am besten Freunde, aber auch professionelle Helfer, mit denen solche Fragen besprochen werden können. Reden hilft, Schweigen nicht.   . . .